März 2021 |
Über 20 Jahre im Dienst der Information Privater, politisch unabhängiger Presse-Blog zum Thema Osteuropa und Russland _______________________________________________________________________ THEMEN UND LINKS IM MÄRZ 2021
Eilmeldung (31.3.): Aleksej Navalnyj tritt in den Hungerstreik
Eilmeldung (20.3.): Russland lässt Tausende Ausländer auf der Krim
enteignen
Eilmeldung (17.3.): USA verhängen Waffenembargo gegen Russland
Eilmeldung (12.3.): Aleksej Navalnyj soll in ein anderes Gefängnis
verlegt worden sein - es fehlt von ihm bislang jede Spur - weitere
Sanktionen gefordert
Michail Gorbatschow 90-jährig Vor allem als Chef der Region Stavropol hatte Gorbatschow sich in den 70ern als Reformer und Entwickler der Infrastruktur sowie als Vordenker der Perestrojka profiliert; er hatte mit seinem aussergewöhnlichen Unternehmergeist und seiner kritischen Haltung aber auch die erstarrte Nomenklatura erschreckt, wobei seine Absichten und Ideen bei Breschnew offenbar trotz allem zumindest keinen Widerstand fanden, zumal Gorbatschow das Vertrauen des mächtigen KGB-Chefs Andropow genoss. Aber auch Breschnew und Gromyko waren dem "Benjamin", der vielversprechende Perspektiven für die Partei aufwies, wohlgesinnt. Ausgerechnet die zentralen Protagonisten des poststalinistischen Systems hatten also seinen Aufstieg ermöglicht. Für Reformen, die das kommunistische System in Frage stellten, waren sie und alle übrigen Politbüromitglieder sowie ein Grossteil der Parteifunktionäre allerdings nicht zu haben. Gorbatschow schrieb in seinen Erinnerungen (S. 459): "Die Nomenklatura hatte sich so sehr an die für sie bequeme Monotonie des politischen Lebens gewöhn, dass schon die geringsten Veränderungen zu panischen Reaktionen führten." Aber Gorbatschow war ein anderer, ein alternativer Typ Apparatschik; er scheute sich nicht, Missstände im Land zu krtisieren, und er wollte in der Tat das System verändern, verbessern, denn die sozialistische sPlanwirtschaft war in eine Sackgasse geraten. Da in der Sowjetunion aber niemand über Erfahrungen bei demokratischen, pluralistischen und marktwirtschaftlichen Handlungsmustern verfügte, waren Experimente in diesen Bereichen von vornherein vom Scheitern bedroht. Seit Jahrzehnten waren die Sowjetmenschen von der westlichen Zivilisation abgeschnitten worden und hatten in einem starren, weltfremden politisch-ideologischen Korsett nach marxistisch-leninistischen Prinzipien zu leben, die in die Sackgasse führten. Der sowjetische Kommunismus liess sich nicht mit demokratischen Mitteln, wie man sie im Westen kannte, reformieren. Zumal die Verunsicherung und der Widerstand gegen Neuerungen, die dem alten Geist zuwiderliefen, in weiten Teilen der sowjetischen Gesellschaft, vor allem in der Parteinomenklatura selbst und im Militär, die dem alten Denken verplfichtet waren, unerwartet stark waren. Die berüchtigte traditionelle Oblomowsche Mentalität und das noch berühmtere Apparatschik-Denken der Russen war nicht auszurotten und behinderte die Umsetzung der Perestrojka von Beginn an, trotz einer gewissen Anfangsbegeisterung. Die lokale Obrigkeit konnte Offenheit und Transparenz am wenigstens leiden, die Perestrojka wurde von einem Teil der konservativen Beamtenelite regelrecht boykottiert und ungeniert sabotiert. Kein höherer Politiker wagte es, das Monopol der Kommunistischen Partei und den Sozialismus als solchen in Frage zu stellen, mit Kritik an den alten Kadern und Dogmen wurde tunlichst gespart. Aber ohne diese Voraussetzungen kam eine Perestrojka, wie sie Gorbatschow, der sein Volk vor ideologischen Deformationen heilen wollte, sich vorstellte, nicht voran. Immerhin begann der sowjetische Totalitarismus zu erodieren, implodieren. Gorbatschow nahm für sich in Anspruch, den sowjetschen Totalitarismus abgeschafft und den parlamenarischen Pluralismus etabliert zu haben. Man sprach von einer neuen Revolution. Im Winter 1986/87 mündete das zweite Tauwetter in der Geschichte der Sowjetunion in eine ernsthafte Krise. Im Januar 1987 plädierte der unerschütterliche Idealist und Optimist Gorbatschow dann noch einmal für die Notwendigkeit der Demokratie(sierung). Aber er wurde als Rufer in der Wüste immer einsamer. Mit den von Gorbatschow initiierten ersten und einzigen verhältnismässig freien Wahlen zum Volksdeputiertenkongress der UdSSR im März 1989 schien immerhin ein Meilenstein der Demokratiesierung der sowjetischen Politik erreicht worden zu sein. Die Monopolstellung der KPdSU wurde abgeschafft, die Partei sollte sich zum "humanen demokratischen Sozialismus" bekennen. Am 14. März 1990 wurde Gorbatschow von diesem Volkskongress neu gewählten Kongress mit 59,2 % der Stimmen zum Staatspräsidenten der UdSSR gewählt. Einer der neuen Volksdeputierten hiess übrigens Andrej Sacharow und war der berühmte sowjetische Atomphysiker, den Gorbatschow aus seiner Verbannung in der Stadt Gorkij nach Moskau zurückholte und der die Perestrojka aufrichtig unterstützte. Ausserden konnte endlich früher verbotene Literatur erscheinen, so auch "Die Kinder vom Arbat" von Anatolij Rybakov. Aber die einbetonierte Nomenklatura der kommunistischen Partei blieb skeptisch, stemmte sich gegen allzu revolutionäre Neuerungen westlichen Stils und wirkte somit dauerhaft wie ein Bremsklotz. (Was der Spiegel dazu schrieb.) Nach den ersten freien Wahlen in den Parlamenten der Republiken geriet die KPdSU immer mehr ins Abseits, der Unmut gegenüber den Moskauer Reformen stieg. In der Partei bildeten sich zwei verfeindet Lager heraus: die Konservativen und de radikalen Demokraten, die beide die Perestrojka in Frage stellten. So schien sich ein zweites Chruschtschow-Szenario zu wiederholen. Dennoch bedeuteten die teilweise grossspurigen innenpolitischen Ankündigungen Gorbatschows nicht nur eine grosse Sensation in der Sowjetunion und der ganzen Welt; von dem neuen Reformer im Kreml wurde konkrete Umsetzung seiner hehren Absichten erwartet, um das Leben der Menschen in der Sowjetunion nachhaltig zu verbessern. Diese sahen die Notwendigkeit von Reformen ja auch an. Gorbatschow wurde vorgeworfen, seine im Grunde guten Ideen nicht konsequent umgesetzt zu haben. Die teilweise selbstherrlichen, überschwenglichen und realitätsfremden Züge seines Regierungsstils unterminierten Gorbatschows Amt und Machtposition zunehmend. Die hoffnungsvolle Aufbruchstimmung mündete in ein kolossales Desaster. Statt einer neuen blühenden Sowjetunion erlebten die Sowjetbürger mit leeren Läden einen beispiellosen Niedergang der heimischen Wirtschaft und den Zerfall des mächtigen, hyperzentralisierten Unionsstaates in seine Einzelteile. Obwohl Gorbatschow noch verzweifelt versuchte, diese Entwicklung zu vermeiden, denn er wollte ja die Sowjetunion retten und als Ganzes erhalten, trieben verschiedene Republiken wie das Baltikum die eigene Loslösung von Moskau eilig voran. Selbst Russland hielt es für nütlicher für seine Zukunft, sich von der Sowjetunion abzuspalten Gorbatschow reagierte emotional negativ auf diese Prozesse und goss mit entsprechenden Stellungnahmen mehr Öl ins Feuer als nötig und unterschätzte die zentrifugalen Kräfte, wie er später selbst einräumte. Deshalb blieb er im Baltikum bis heute verhasst. Die zweite ideologische Abrechnung mit dem Stalinismus löste eine Eigendynamik aus, die so nicht erwartet wurde und sich gegen die Autorität der KPdSU und gegen das Amt des sakrosankten Generalsekretärs selbst richtete. Der letzte Sowjetführer, von seiner historischen Mission zwar vollständig überzeugt, aber ziemlich überfordert und im Land selbst immer isolierter dastehend, verlor die Kontrolle über die neuen "revolutionären" Prozesse im Land, denn es enstanden bei diesem neuen politischen Pluralismus noch andere Kräfte, die ihn konkurrenzierten und ihm zuvorkamen. Gorbatschow, der eine riesige Bürde auf sich geladen hatte, musste lernen, dass Politik nicht mehr als die Kunst des Möglichen ist. Weil nicht alle politischen Konzepte bis zum Ende durchdacht wurden, waren fatale politische Fehler unvermeidlich, wie Gorbatschow in seinen Erinnerungen selbst einräumte, etwa die Fehleinschätzung des "Nationalismus" und des Wunsches der "natioalen" Republiken, unabhängig von Moskau zu leben. Aber es war zu spät. Gorbatschow wurde zum "Führer ohne Land", wie ihn die Revue Time betitelte. Der Höhepunkt seines sich abzeichnenden Machtverlusts manifestierte sich in dem vom KGB angezettelten Staatsstreich gegen Gorbatschow, der im August 1991 als angeschlagener Staatschef nach Moskau zurückkehrte und den Putsch zwar noch als gescheitert verurteilen konnte. Aber es war zu spät. Die Baltischen Staaten benutzten die Gelegenheit, ihre 1939 verlorene Staatlichkeit wieder herzustellen. Neben den nichtrussischen Republiken war es vor allem Russland selbst, und diesen Umstand sollte man niemals vergessen, das die "Parade der Souveränität eröffnete" (Gorbtschow). Und ohne Russland als integraler Bestandteil des Gesamtstaates war die Sowjetunion am Ende. Niemand war mehr an einem neuen Unionsvertrag, der die Rechte und Pflichten der einzelnen Republiken neu regeln sollte, interessiert. Im Dezember 1991 beschlossen die eigenen Leute in einer geheimen Sitzung in Weissrussland das Ende der UdSSR als "Gegenstand des Völkerrechts und der geopolitischen Realität" herbeizuführen und eine neue lose "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) hinter dem Rücken Gorbatschows zu gründen. Die politische Elite war am Erhalt der UdSSR und des Kommunismus bzw. dessen Reformation nicht mehr interessiert. Als die Sowjetfahne Ende 1991 über dem Moskauer Kreml eingeholt und die russische Trikolore gehisst wurde, gab es weder Protest noch Jubel. Und Gorbatschow war Geschichte. Selbst Erich Mielke, der entmachtete Stasi-Chef der DDR, „hielt", im Gegensatz zu Erich Honecker, „Gorbatschows Politik im Grunde für richtig", wie er in einem SPIEGEL-Interview von 1992 sagte, aber er „hatte nicht gedacht, dass ihm die Verhältnisse so ausser Kontrolle geraten sind." Nach sieben Jahrzehnten Hardcore-Kommunismus blieb auf den Trümmern der Sowjetunion eine zutiefst verunsicherte, verarmte und demoralisierte Gesellschaft übrig, die auch in den sieben Jahren Gorbatschowscher Perestrojka keine wirkliche Demokratisierung und Liberalisierung erfuhr - mit fatalen Folgen für die Zukunft. Zweifellos bedeutender, erfolgreicher und nachhaltiger wirkten die Neuerungen in der Aussenpolitik, die Gorbatschow in Gang brachte und die ihn offenbar mehr interessierten als die mühsame Kleinarbeit im Inneren des Landes selbst, die zum Scheitern verurteilt war. Die ganze Welt liess sich von Gorbatschows einzigartigem Charisma entzücken, allen voran Margaret Thather, die äusserst sowjetfeindliche Premierministerin von England, die an dem neuartigen Sowjetführer Gefallen fand. Gorbatschow hat auch grünes Licht für die Wiedervereinigung Deutschlands gegeben, Osteuropa vom Kommunismus befreit und damit die Teilung Europas aufgehoben, die sowjetischen Truppen aus Afghanistan zurückgezogen und das atomare Wettrüsten im Kalten Krieg einseitig zum vorläufigen Stillstand gebracht. Die konservativen regierenden Kommunisten in Ost-Berlin, Prag, Bukarest und Sofia spürten, dass der Sozialismus, wie er von Marx, Engels, Lenin und Stalin ausgedacht und von Chruschtschow, Breschnew, Andropow und Tschernenko praktiziert und mit brutaler Gewalt durchgesetzt wurde, gescheitert und ihre Macht verloren war; sie hassten Gorbatschow deswegen aus tiefstem Herzen, weil er ihnen ihren Sozialismus nahm, während die Völker Osteuropas das Ende des kommuistischen Regmes ungeduldig herbeisehnten. Die Russen hassten ihre westlich orientierten Reformer mehrheitlich meist und bewunderten dafür umso mehr autoritäre und imperiale Führer wie Alexander III., Stalin, Breschnew und Putin, die Russland als Supermacht aufstellten. Im Unterschied zu allen Führern Russlands vor und nach ihm war Gorbatschow ein Humanist von europäischem und Weltrang, auch wenn er einige Denkfehler beging (wie das Festhalten am Monopol und an der Führungsrolle der KPdSU sowie an der Erhaltung der Sowjetunion als Gesamtstaat - mit den in der Vergangenheit erobertn und annektierten Kolonien), die dem erratischen leninistisch-stalinistischen Erbe zuzuschreiben waren. Und welches war der Beitrag des Westens zum Untergang der Sowjetunion? Die prosperierende (soziale) Marktwirtschaft (die Gorbatschow ebenso in seinem Land einführen wollte), das freiheitlich-demokratische politische System Amerikas und Europas und das militärische Wettrüsten, das die USA nach eigenen Angaben gewannen, waren dem maroden Sowjetsystem eindeutig überlegen. Es war der Zeitgeist, der weltweit (ausser China und einiger unbedeutender Kleinstaaten) für den zwanghaften Kommunismus kein Verständnis mehr aufbrachte und der es auch in den östlichen Ländern wollte, dass diese sich dem Westen öffnen und angleichen sollten. Später wurde dem Westen von der russischen Seite vorgeworfen, er habe sich gefreut, den historischen Wettstreit zwischen Kapitalismus und Sozialismus gewonnen zu haben. Ganz falsch ist das natürlich nicht. Die eigentlichen (radikalen) Wirtschaftsreformen folgten in den "freien", "demokratischen" und "marktliberalen" 1990er Jahren, in denen die ehemaligen Kommunisten, jetzt überzeugte Liberale und gewiefte Geschäftsleute geworden, zusammen mit der neuen Klasse der skrupellosen Oligarchen den Staatsbesitz umverteilten, wobei die wilde Mafia Russland unsicher machte. Aber wie so oft in der Geschichte Russlands scheiterten die Versuche, den Westen einfach zu kopieren und imitieren, kläglich. Die Angleichung Russlands an den Westen, seine Verwestlichung blieb somit oberflächlich und vor allem auf die urbanen Metropolen und marktliberalen Schichten beschränkte, während das rückständige Dorf verelendete. Russland ist weder Westen noch Osten, sondern ein System, eine Kultur, eine Zivilisation sui generis. Gorbatschows Hauptkritiker, Rivale und Nachfolger Boris Jelcyn, der als erster Präsident des unabhängigen Russlands den Sozialismus abschaffte, liess sich im Jahr 2000 krankheitshalber durch einen jüngeren Politiker namens Vladimir Putin, der aus dem Nichts kam, an der Spitze des Landes ersetzen. Dass dieser ehemalige KGB-Agent im Laufe der Jahre viele demokratische Errungenschaften rückgängig machen, den Weltfrieden stören und eine Art neuer russischer Autokratie errichten konnte, war damals noch nicht absehbar. So sind Parlamentarismus, der Aufbau der Institutionen, die Zivilisierung der Gesellschaft und die Zivilgesellschaft insgesamt im neuen Russland einmal mehr kläglich gescheitert. Auch die Demokratie, die im übrigen schamlos zur Festigung der Macht der Putin-Elite missbraucht wird, ist reine Fassade, Wahlen sind zur reinen Farce verkommen. Eine offene demokratische Kultur, wie man sie im Westen kennt, ist in Russland abwesend. Hohe Beamte, Minister und Gouverneure werden von Putin persönlich wie Spielpuppen behandelt. Das rusische Staatswesen ist intransparent, die Politik gegen aussen rein propagandsisch ausgerichtet. Wie in Byzanz die Kaiser, verdankt der sozusagen unfehlbare Staatspräsident Russlands im 21. Jahrhhundert seine Macht der Akklamation der "Wahlbürger" und der orthodoxen Kirche, die schon ein Komplize des Kommunismus gewesen war, während eine moderne Mafia, die im öffentlichen Raum (in den Medien) nicht existiert, die Wirtschaft "verwaltet". Dies alles öffnet eklatantem Machtmissbrauch Tür und Tor, obwohl diejenigen, die die Macht missbrauchen, behaupten, es laufe alles nach geltenden Gesetzen. Da das geltende Recht von den Beteiligten nach Belieben und Tagesaktualität gebogen und gebrochen werden kann, ist Russland auch kein eigentlicher Rechtsstaat. Als Erbe der Sowjetunion führt sich die Russische Föderation unter Putin heute auch aussenpolitisch wieder wie die die imperiale UdSSR zu kommunistischen Zeiten auf mit dem Unterschied, dass dieses Land nicht mehr von lebenden Leichen, sondern von aufgeweckten, äusserst aktiven, schlauen, frechen und zynischen Politikern, die ausschliesslich an der Macht und am Geld und Reichtum interessiert sind, geführt wird, während das missbrauchte Volk von ihnen für dumm und hilflos gehalten wird. Jegliche Opposition wird im Keim ersickt und systematisch unterdrückt. Zu den Schandtaten Putins gehört auch der sträfliche Umgang mit der Ukraine. Ein schlimmes Russland ohne jegliche positive Moral! Zwar hat Putin den Russen einen gewissen wirtschaftlichen Wohlstand gebracht, die politischen Freiheiten hat er ihnen aber längst wieder weggenommen. Nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung geniessen den wirtschaftlichen Wohlstand, während etwa ein Viertel der Russen unter dem Existenzminimum befinden; die Infrastruktur befindet sich in vielen Gebieten in sträflich vernachlässigtem Zustand. Von Jahr zu Jahr wird der Kurs Putins gegenüber der kritischen Opposition rauher, arroganter, aggressiver und repressiver, mit noch unbekanntem Ausgang. Zwar mag Russland eine Kultur, ein Staat sui generis sein, das mit keinem anderen politischen und sozialen System der Welt zu vergleichen ist; dennoch mutet dieses Land, weder als rein europäisch noch rein asiatisch zu fixieren, mit seinen Machtverhältnissen und seiner passiven Gesellschaft sowie der Nichttrennung von Staat, Kirche und Gesellschaft dem Mitteleuropäer auch heute noch fremd an. Es ist nicht leicht zu bestimmen und eine Spekulation, welche Sitten und Bräuche die Russen von ihrer langen Geschichte erbten; allgemein wird bei der Interpretation der heutigen politischen Kultur Russlands vor allem von der Hypothek des kommunistischen Erbes der Sowjetunion gesprochen, das die Mentalität des russischen Volkes nachhaltig geprägt habe. Während Gorbatschow im Westen als das grundlegend Gute dargestellt wurde, verkörpert Putin also wieder das Böse, das Dämonische schlechtin. In Russland word es umgekehrt gesehen. Nach dem Untergang der Sowjetunion sank in Russland die Beliebtheit des Friedensmachers Gorbatschow, dem der Vorwurf gemacht wurde, das grosse Sowjetimperium zerstört zu haben, quasi auf Null. Niemand wollte sich mit ihm zeigen und noch über die von ihm damals angestreben Verbesserungen reden. Am 2. März 2021 wurde Gorbatschow 90-jährig. Wegen der Corona-Pandemie wird der Diabetes-Patient zur Zeit offenbar in einem nicht näher bekannten Spital bei Moskau isoliert. Putin würdigte Gorbatschow zu seinem 90. Geburtstag mit folgenden Worten: "Sie gehören mit Recht zu jenen schillernden, ungewöhnlichen Menschen; herausragenden staatlichen Funktionären der Gegenwart, die einen bedeutenden Einfluss auf den Gang der nationalen und Weltgeschichte ausgeübt haben."
Es bleibt abzuwarten, wie die junge Generation in Russland auf
Putins Repression reagieren und ob sie sich allenfalls auf
Gorbatschow zurückbesinnen wird. Lesenswert sind vor allem seine
Erinnerungen, die ein aussergewöhnliches Lehrbuch aus erster
Hand darüber darstellen, wie
die Sowjetunion beschaffen war und wie sie funktionierte. Offenbar sehen heute viele Menschen in Russland die Rolle Gorbatschows differenzierter und wieder positiver: Mehr als die Hälfte der Russen betrachtet den letzten Sowjetführer als "einen Politiker, der über das Wohl des Landes nachdachte, aber eine Reihe schwerwiegender taktischer Fehler beging, die zu Schocks und Problemen führten". Diese Meinung wurde von 51% der Gesprächspartner von VCIOM v vertreten. Die Daten wurden am 2. März, am Tag von Gorbatschows 90. Geburtstag, veröffentlicht. (Quelle: https://www.fontanka.ru). Vor allem bei vielen jungen Russen und Russinnen geniesst Michail Gorbatschow scheinbar grosses Ansehen. (Quelle: https://www.berliner-zeitung.de)
Hyperlinks
dazu: Russische
Pressebeiträge: - Украина ввела санкции против Януковича, Азарова, Курченко, Поклонской и других
BELARUS OHNE LUKASCHENKO !
Russland
EU und USA verhängen Sanktionen gegen
ranghohe russische Funktionäre im Fall
Navalnyj
und wegen Menschenrechtsverletzungen
Biden-Regierung kündigt härtere Gangart
gegenüber Russland an
- kein "reset" vorgesehen
8. März - Weltfrauentag im Dienst der
staatlichen Propaganda, endlose Gewalt gegen Frauen in Russland und
Frauen als Vertreterinnen des Putin-Regimes Frauen, die sich gegen Gewalt und Ungerechtigkeit in Russland einsetzen, kommen in den Staatsmedien kaum zu Wort, denn die Themen, die sie vertreten und bewirtschaften, sind in Russland negativ konnotiert und werden quasi als gesellschaftliches Tabu betrachtet und behandelt, besonders in ländlich, konservativ und islamisch geprägten Gegenden. Aber gerade auf der anderen, höchsten staatlichen und behördlichen Ebene stehen russische Frauen, die das Putin-Regime mit aller Härte vertreten und somit im Dienst eines fragwürdigen Systems stehen, das in den Ländern des demokratisch-freiheitlichen Westens wegen seiner systematischen Menschenrechtsverbrechen sowieso verpönt ist. Zu diesem Kreis von Frauen gehören etwa Marija Zacharova, Sprecherin des Aussenminsteriums, Irina Jarovaja, Vizepräsidentin der Staatsduma, Ella Pamfilova, Vorsitzende der Zentralen Wahlkommision der RF, Margarita Simonjan, Fernsehjournalistin und Chefredakteurin der Nachrichtenagentur "Rossija Segodnja". Für den Fall Weissrussland (Belarus) sind analog folgende Frauen zu nennen, die unter dem Lukaschenko-Regime für das Geschehen und die Gewalt in diesem berüchtigten Unrechtsstaat mitverantwortlich sind: Natalja Katschanawa, Leiterin der Präsidialverwaltung und Vorsitzende des Rates der Republik; Volha Tschamadanowa, Pressesprecherin des Innenministeriums, und Lidzija Jarmoschyna, Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission. Bei diesen Frauen handelt es sich um Personen, die sich unter rechtsstaatlichen Bedingungen zumindest für ihr politisches Verhalten wohl vor Gericht verantworten müssten (was wird wohl bei einem regime change mit ihnen passieren?). Aber sie erinnern auch an Frauenbilder, die im kommunistischen System Osteuropas eine besonders unheilvolle Rolle spielten und dadurch traurige Berühmtheit erlangten wie Hilde Benjamin, Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und Justizministerin der DDR; Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung der DDR und Ehefrau des SED-Generalsekretärs; Elena Ceaușescu, Gattin des rumänischen Diktators, Mitglied des Exekutivkomitees des ZK der RKP und Vorsitzende der rumänischen Akademie der Wissenschaften, um nur drei der prominentesten Namen an der Staatsspitze ihrer Länder zu erwähnen. Stehen sie nicht irgendwie in der Tradition von nationalsozialistischen und stalinistschen Funktionärinnen, die im schlimmsten Ausmass zur Verletzung der Menschenrechte beigetragen haben? Ob diese Kommunistinnen übrigens im Sinn von Nadeschda Krupskaja, Alexandra Kollontai, Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin gehandelt hatten, sei dahingestellt.
- Grussbotschaft V.V. Putins zum 8. März (russ.)
Nun stellt sich aber nolens volens die Frage, ob Putin in der Tat ein leibhaftiger Mörder sei. Als ehemaliger KGB-Mitarbeiter hat er dazu geradewegs die besten Voraussetzungen bekommen und erfüllt und ist mit dem Handwerk des Mordes ja zweifellos in Berührung gekommen oder sogar bestens vertraut. So dürfte er von seiner diesbezüglichen beruflichen Ausbildung her, die wie sein jugendliches Rowdytum seine Mentalität unwiderruflich geprägt haben dürfte, keine Skrupel kennen, Personen, die er als "Feinde des Staates" betrachtet, gewaltsam aus dem Weg räumen zu lassen. Er hat die Macht dazu bzw. nimmt sie sich, denn schliesslich hält er sich für einen zarenähnlichen Autokraten, der über dem Gesetz zu stehen scheint. Obwohl er vermutlich selbst kein Individuum selbst ermordet hat (Hitler tat es auch nicht) und es bisher keine Beweise gibt, dass Putin hinter diversen, teilweise äusserst mysteriösen und meist unaufgeklärten Morden steht, ist anzunehmen, dass er bestimmte Leute, ja ganze Gruppen von Personen als Feinde seines Regimes töten liess. Dazu zählen - wenig bekannt - in erster Linie die islamistischen Terroristen im Kaukasus, die insbesondere in Tschetschenien gegen den russischen Staat kämpften und von dem in den Putin-Jahren einer nach dem anderen, wenn er aufgespürt und gesichtet wurde, meist von Spezialeinheiten des FSB auf offenem Feld gnadenlos hingerichtet wurde (s. Putin-Lexikon auf dieser Website). So wurden fast alle tschetschenischen Separatisten, die auf dem Gelände dieser Repubik einen wahabistischen Gottesstaat errichten wollten, blutig ausgeschaltet und für immer eliminiert. Auch der sogenannte Berliner Tiergartenmord an dem Georgier Changoshvili, der im 2. Tschetschenienkrieg gegen Russland kämpfte und seit 2002 von den russischen Behörden gesucht wurde, gehört in dieses unselige Kapitel. Es folgt die Aufzählung nicht weniger Journalisten und Kritiker des Kremls sowie diverser Dissidenten und Oppositioneller, die vom Kreml auf den Index gesetzt wurden und aus dem Weg geräumt werden sollten, damit sie schwiegen. Zweifellos spielt auch die quasi angeborene Rachsucht von (ehemaligen) russischen "Tschekisten" vom Schlage eines Putin eine Rolle, wenn sie Verrat bei ehemaligen Kollegen witterten, den sie nicht dulden konnten. Auf dies Weise mussten allzu investigative Journalisten und Buchautoren wie Anna Politkovskaja oder Paul Khlebnikov, Politiker wie Boris Nemcov, aber auch ehemalige KGB/FSB-Leute wie Aleksandr Litvinenko sterben. Ausserdem gab es eine Reihe von Attentaten, die beinahe das Leben von Leuten wie Sergej Skripal oder Aleksej Navalnyj kosteten, wobei verbotene chemische Kampfstoffe zum Einsatz kamen. Allgemein geht man davon aus, dass diese Mordaufträge direkt aus dem Kreml oder dessen Umfeld stammten, denn wer sonst sollte ein Interesse daran haben, diese Personen umzubringen ? Aber der Kreml oder das russische Aussenministerium weisen jegliche Schuld systematisch von sich, lehnen jegliche Verantwortung ab oder kehren den Spiess um, um andere für die Taten zu beschuldigen (übrigens fällt auf, dass die russische Regierung zu diesen Themen sonst keine Stellung nimmt). Nicht zuletzt sind an die Tausenden von Menschen, sowohl Soldaten als auch Zivilisten, zu denken, die in mörderischen Kriegen, die Putin in Tschetschenien, der Ostukraine und in Syrien angezettelt hat, durch den Gebrauch russischer Gewehre, Kanonen, Raketen und Granaten ihr Leben verloren haben. Nicht zu vergessen sind auch all jene Fälle von Russen und Russinnen, die Putin unter fadenscheinigen Gründen und Vorwänden kurzerhand verhaften, von der kremlhörigen Justiz aburteilen und für viele Jahre in konzentationslagerähnliche Gefängnisse stecken liess, weil sie entweder eine ernsthafte politisch-wirtschaftliche Konkurrenz darstellten (wie Michail Chodorkovskij) oder aus seiner Sicht (und aus der Sicht der russisch-orthodoxen Kirche) eine schädliche Rolle für die Gesellschaft spielten (wie die Frauen der Gruppe Pussy Riot). Der jüngste Fall dieser Art betrifft bekanntlich Aleksej Navalnyj selbst. Wären diese Opfer von Putins Willkür in diesen Gefängnissen zugrunde gegangen, dem Kremlherr wäre es wohl egal, ja recht gewesen, denn Putin ist wahrlich kein Menschenfreund, zumindest kein Freund von solchen MitbürgerInnen. User, die im Internet Inhalte posten, die ihm nicht passen, nannte er "Bastarde" und "kleine Käfer". Putin wird auch die persönliche Bekanntschaft bzw. Freundschaft mit hochkarätigen Verbrechern (Geschäftsleute genannt) Russlands, v.a. Sankt-Peterburgs, nachgesagt, zu denen auch Ramzan Kadyrov, Präsident Tschetscheniens, gehört. Das mit vielen Fragezeichen behaftete Finanznetz Putins wurde von verschiedenen investigativen Journalisten aufgearbeitet. Einer verklärenden Meinung zufolge soll Putin der reichste Mensch der Welt sein, der sogar Bill Gates, George Soros u.a. in den Schatten stellt. Die erwähnten Fälle bilden nur die Spitze des Eisbergs, während andere, weniger spektakuläre Morde im Ausland kaum bekannt geworden sind (zum Glück gibt es Wikipedia, das solche Fälle auflistet). Während die Mitglieder von Pussy Riot offenbar in Russland geblieben sind, zog es Chodorkovskij und andere wie der einstige russische "Medienzar" Vladimir Gusinskij vor, ins westliche Ausland zu emigrieren, denn sie konnten vor der Macht und Rachsucht Putins nicht sicher sein und mussten davon ausgehen, in Russland wegen igendeines noch nicht bestraften Vergehens erneut festgenommen, vor Gericht gestellt und in den Gulag geschickt zu werden. Die Serie von solchen himmelschreienden Fällen ist lang und ohne Ende. Hinzu kommen noch die verschiedenen Schlägertrupps der "Putin-Jugend", die im Namen der Politik des "nationalen Führers" die Drecksarbeit vollziehen und über unliebsame Kritiker und Feinde des Kremls herfallen, um sie mundtot zu machen. Dabei fällt auf, dass die Freunde Putins meist von solchen Verfolgungen verschont bleiben, ausser sie fallen etwa wegen offenbarer Korruption, wegen Gesetzesbruch oder wegen Unfähigkeit im Kreml in Ungnade und werden aus ihren Ämtern entfernt und durch Nachfolger ersetzt oder bei Wahlen abgestraft. Meist handelt es sich um kleine Fische von Regionalpolitikern; der prominenteste Fall betraf den ehemaligen Minister für Wirtschaftsentwicklung, einen gewissen Uljukaev, aber ermordet wurde deswegen noch nie jemand von diesen kremlnahen Funktionären, im Unterschied zu mutigen Journalisten, die korrupte Politiker aufdeckten. In Russland wiederholte sich, schon unter Jelcyn in den 1990er Jahren, die Zeit der amerikanischen, italienischen oder sowjetischen Mafia. Im Westen und in Russland selbst wird vermutet, dass Putin der Hauptregisseur all dieser Morde, Verfolgungen, Verurteilungen und Verbrechen seiner Zeit ist. Für die erwähnten Kriegsfälle müsste er analog Slobodan Miloševiæ eigentlich nach Den Haag überstellt werden, um sich dort vor dem Internationalen Gerichtshof zu verantworten. Aber das wird kaum der Fall sein, denn Putin, schon als Kandidat für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, weiss sich zu helfen. Für die Aufklärung der zahlreichen Mordfälle in Russland selbst müsste die heimische Justiz tätig werden, um etwa Putin zumindest als Zeuge zu vernehmen. Sie hätte aber auch die Vermögenswerte Putins und die damit verbundenen Machenschaften seiner Getreuen zu untersuchen und aufzuklären, denn es wird in diesen Kreisen Korruption und Machtmissbrauch im grossen Stil vermutet. Aber auch dies ist unter den herrschenden politischen Umständen, unter denen es in Russland keine unabhängige Justiz, sprich keinen eigentlichen Rechtsstaat gibt, undenkbar, solange Putin in Russland an der Macht bleibt, und er könnte es noch lange sein, wenn seine Gesundheit ihm dies erlaubt. Leider kann Putin, der in seiner kleptokratischen Autokratie, in der die proklamierte Demokratie zur Farce verkommen ist, offenbar nicht abgewählt werden, weil die Wahlen manipuliert und gefälscht sind, das Resultat im voraus feststeht und weil Putin allein bestimmt, wer in Russland regieren soll. Nur ein Rückzug oder Ausfall Putins könnte Bewegung in die erstarre Politik bringen. Von Seiten der Bevölkerung könnte die jungere Generation eine Hoffnung für das Land darstellen. Solange Putin herrscht werden ihre Proteste und Demonstrationen aber vorausichtlich von den Sicherheitsorganen unterdrückt, niedergeschlagen und verhindert werden. Es ist absehbar, dass die allgemeine Krise in Russland sich unaufhaltbar verschärfen wird, bis es allenfalls zu einem Knall kommen könnte, der an die Jahre 1917 oder 1991 erinnert, denn die Unzufriedenheit in Russland ist gross. Sobald Putin schwach wird oder ncht mehr imstande ist, zu regieren, könnte er von unzufredenen Teilen der Elite im Rahmen einer Verschwörung gestürzt werden. Oder er tritt vorzeitig von seinem Amt zurück und lässt einen ihm genehmen Nachfolger installieren. Aber man sollte sich hüten, Kremlastrologie zu betreiben, denn die Geschichte wird wohl anders enden als gedacht. Inzwischen hat sich Putins Paranoja jedoch dermassen verhärtet, dass er sich von der Opposition bedrängt fühlt und im Januar und Februar Tausende von Demonstranten und Protestierenden verhaften liess, die bei einem Aufruf Navalnyjs auf die Strassen russischer Städte strömten und "Putin ist ein Dieb" und "Putin hau ab" skandierten. Der gesellschaftliche Protest liegt also in der Luft, aber er kann von Putin und seinen Sicherheitskräften leicht niedergeschlagen werden, während die amorphe und apolitische Hauptmasse der russischen Bevölkerung passiv, gleichgültg und ängstlich bleibt. Einen Dialog mit den kritischen Schichten der Gesellschaft lehnt Putin ab und verkriecht sich lieber unter dem Vorwand der Coronapandemie in seinen Residenzen, vorzugsweise in Sotschi am Schwarzen Meer, wo er sich vermutlich sicherer fühlen kann und das Klima weniger rauh ist als in Moskau. Auch sind ihm alle Mittel recht, die Einflusssphären Moskaus im postsowjetischen Raum zu wahren, wie die Beispiele Georgien und Ukraine gezeigt haben, wo die Vasallen, Schergen und berüchtigten paramilitärischen "Sicherheits"-Truppen und "Grünen Männchen" Moskaus ihre Muskeln spielen lassen, oder wie in Belarus, wo seitens der Behörden des Putin-ähnlichen Machthabers Lukaschenko äusserst brutal gegen aufmüpfige BürgerInnen vorgegangen wird, die dieses autoritäre System satt haben und sich einen regime change herbeiwünschen. Ebenfalls müssen die Baltischen Staaten immer wieder die feindselige Gesinnung und aggressive Rhetorik Moskaus aushalten, obwohl das Völkerrecht den Staaten verbietet, andere mit Gewalt zu drohen. Aber ein Putin hält sich weder ans Völkerrecht noch an andere bewährte Prinzipien und Regeln der internationalen Gemeinschaft, die er hintergehen und aufweichen will, oder handelt nach persönlichem Gutdünken. Denn, so seine Auffassung, die anderen halten sich auch nicht ans Völkerrecht und machen sowieso, was sie gerade für gut halten. Nach dieser Logik gilt: Wenn der Westen Jugoslawien bombardieren oder im Irak einmarschieren kann, ohne dabei die Russen mit ins Boot zu nehmen, kann Russland auch eigenmächtig in Syrien oder anderswo intervenieren (wo es aber galt, den bedrängten Diktator Assad zu halten). Und wenn der Westen Waffen an Saudiarabien liefert, so nimmt sich Russland das Recht, Waffen an den Iran zu liefern. Alles geschieht symmetrisch. Ein Teufelskreis, den auch die UNO nicht zu durchbrechen vermag. Den Westen hasst Putin inzwischen wie die Pest und wie die eigene Opposition, die er ihm gleichstellt, weil er sich von ihm nicht auf "gleicher Augenhöhe" behandelt fühlt, weil die demokratisch-liberalen Politiker mit dem diskreditierten Diktator von Moskau, der die gesamte Gesellschaft Russlands nach seinem Gusto unterdrückt und sich in andere Länder kriegerisch einmischt, um dort Unruhe zu schaffen, weil er versucht, die demokratischen Staaten zu (zer)stören, untergraben und zu spalten, und weil er zum Leidwesen Europas die Menschenrechte absichtlicht geringachtet und mit Füssen tritt, eigentlich nichts mehr zu tun haben wollen und nicht gewillt sind, unter diesen Bedingungen auf die Interessen Russlands Rücksicht zu nehmen. Für all die erwähnten Fälle trägt Putin die politische und moralische Hauptverantwortung. In diesem Sinne haben Biden und andere recht, wenn sie ihn für einen Mörder, zumindest aber für einen Schläger oder Schurken halten. Eine Neuauflage des Kuschelkurses zwischen Russland und den USA unter Biden und Putin wird es nicht geben. Russland kann nach den geltenden Normen, Gesetzen, Vereinbarungen und Prinzipien, die die Demokratie, Menschenrechte und das Völkerrecht betreffen und die einzuhalten sich auch Russland verpflichtete, nicht als europäischer Staat angesehen werden, der es vielleicht sein möchte; auf russischer Seite gibt es nicht nur grosse Defizite in den Bereichen Menschenrechte und Korruption, sondern auch die politischen und geschichtspolitischen Narrative weichen ganz erheblich von den diesbezüglichen Erzählungen im Westen ab; ferner ist der Staatskapitalismus Russlands mit der sozialen Marktwirtschaft in der Europäischen Union nicht vereinbar. Obwohl das slavische Russland historisch zur europäischen Zivilisation gehört, hat es sich spätestens seit 1917 von Europa entfernt, in der Zeit Gorbatschows ihm wieder angenähert, um sich in der Ära Putin wieder von ihm wegzuentwickeln. Im Grunde ist Russland eine Art Sowjetunion ohne Kommunismus geblieben. Wird es jemals von dieser unglücklichen, schicksalshaften Krankheit geheilt werden? Schwer zu sagen. Russland behauptet, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein. Im Westen ist weitgehend unbekannt, wie die Russen sich an den USA und an Europa abarbeiten. Vielleicht wären die Russen besser beraten, wenn sie sich einer positiveren inneren Entwicklung ihres Landes zuwendeten. Was das Ausland betrifft, sind die russischen Analysen grösstenteils sowieso einseitig, verzerrt, manipulativ, propagandistisch, falsch. Angesichts der Tausenden von Toten in verschiedenen Kriegen und zahlreicher politischer Morde an eigenen Bürgern und Bürgerinnen, für die Putin die politische Verantwortung zu tragen hat, und der Tatsache, wie er die Zivilgesellschaft Russlands mit KGB-Methoden und Polizeigewalt unterdrückt, wäre der geschwätzige und mit allen Wassern gewaschene Staatschef, der übrigens in der russischen Geschichte kaum bedeutende zivilisatorische Errungenschaften vorweisen kann, gut beraten, bei der Kommentierung fremder Angelegenheiten den Mund nicht allzu voll zu nehmen. Nach dem jüngsten Vorfall, der die Russen ziemlich nervös machten, zog Moskau seinen Botschafter in den USA zu Konsultationen nach Hause zurück. Die Einschätzung seiner Person durch Biden beantwortete Putin mit einem unverschämten Kommentar, der mir dem Vorwurf, Putin sei ein Killer, eigentlich nichts gemein hatte. Am 18.3. erhielt Biden Unterstützung von der EU, die folgendes Statement verlauten liess: „Es gibt leider eine lange Liste gescheiterter und erfolgreicher Mordanschläge gegen kritische und unabhängige Persönlichkeiten in Russland, darunter Politiker und Journalisten“, sagte die Sprecherin des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell. Viele Fälle würden nicht untersucht, blieben ungelöst, und die Täter würden nicht zur Rechenschaft gezogen. Jetzt ist Moskau wieder an der Reihe, diese Vorwürfe zu kommentieren. Hyperlinks dazu:
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Австралия и Канада ввели новые санкции против участников
строительства Крымского моста
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